Donnerstag, 14. Januar 2016

WIE BEMERKT MAN ÜBERWACHUNG?


«Merkt Ihr eigentlich immer, dass ihr überwacht werdet?»

Eine beliebte Frage, meistens beantworten Andrej und ich sie mit «Naja, hmm, eher nein». Verdeckte Ermittler_innen auf der Straße teilen ja keine Visitenkarten aus. Als das §129-Verfahren gegen Andrej schon 16 Monate lang am Laufen war, haben sich zum Beispiel folgende Dinge abgespielt: Mein Rechner im Büro fiel von einer Sekunde auf die andere in den Tiefschlaf – Power Saving Mode. Monitor reagiert nicht, Keyboard reagiert nicht, Techniker ist ratlos und hat das noch nie gesehen. Grafikkartenfehler.

Einen Tag darauf rief ich Andrej in seinem Frankfurter Uni-Büro an: beim ersten Versuch – Tü-düü-düüt: «Dieser Anschluss ist vorübergehend nicht erreichbar» (ein Uni-Anschluss, kein Handy); beim zweiten Versuch, direkt hinterher – mein Display zeigt 30 Sekunden eine Verbindung an, zu hören ist nichts; dritter Versuch – zentrale Bandansage der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität «Sie rufen außerhalb unserer Bürozeiten an, die sind wie folgt …» (diese Bandansage gab es für den Anschluss noch nie). 


Ein anderes Mal klingelt mein Handy, ich gehe dran, Anruf von einem Bekannten: ich höre ihm zu, etwas gedämpft, wie er jemandem etwas erzählt. Ich beende die Verbindung, rufe ihn an und sage ihm, dass sein Handy mich gerade angerufen hat. Er wundert sich, amüsiert sich und sagt: «Hmm, naja, doch, könnte sein, es gibt da ein Problem mit der Tastensperre, wer weiß …», und hat auch tatsächlich heute einmal meine Nummer rausgesucht. Nicht unmöglich. Es gibt für alles eine ganz vernünftige Erklärung.
Bestimmt.



Auf die Frage, wie Überwachung bemerkt werden kann, sage ich aber auch immer, dass ich das nicht weiß. Vieles kam mir in den letzten Jahren seltsam vor, manches so regelmäßig, dass die Vermutung naheliegt, dass das kein Zufall, sondern Folge von Überwachung war. Abgesehen aber von realen Menschen mit Knöpfen im Ohr, die sich hörbar darüber unterhielten, dass Andrej woanders langfuhr als sonst, konnten wir das natürlich nicht sicher wissen. 

Fast interessanter finde ich die Frage, wie damit fertig zu werden ist, dass sich die Frage ständig stellt. Wie Betroffene also vermeiden können, nur noch darüber nachzudenken, ob gerade jemand zuhört, zuschaut, dabei ist. Darüber reden (oder schreiben) hilft immer, darüber nicht irre zu werden. Denn schließlich: die Zahlen etwa zur Telefonüberwachung sind in Deutschland bekannt und enorm. 

Die Wahrscheinlichkeit, als politische Aktivistin davon betroffen zu sein, ist also groß. Wer das weiß, muss sich nicht ständig fragen, ob überwacht wird. Manchmal geht es ja vielleicht auch einfach darum, Überwachung spürbar zu machen, um Menschen nervös oder ängstlich zu machen. Überrascht hat mich, wieviele Menschen sich die Frage stellten, ob nicht schon das Lesen meines Blogs gefährlich sei. Dass sie es dann trotzdem taten und weiterempfahlen, hat mich gefreut. Und es blieb nicht “nur” beim Lesen: Erfahrungen wie die oben geschilderten wurden auch kommentiert, auf mal mehr, mal weniger hilfreiche Weise. Jedenfalls hatten wir so die Möglichkeit, uns auszutauschen, “vernünftige Erklärungen” zu finden und zu diskutieren. 


Siehe weiteres unter:
http://fallbeispiele.sozialebewegungen.org/annalist



Quelle:sozialebewegungen.org

Hans Christian Voigt und Thomas Kreiml
Die Website zum Buch «Soziale Bewegungen und Social Media», siehe dazu auch unter
http://bilgungwissen.blogspot.nl/2012/06/soziale-bewegungen-und-social-media.html?q=Kreiml





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