Freitag, 8. Mai 2015

Sparpolitik beenden, Arbeitslosigkeit senken

Die ungünstigeren Konjunkturaussichten könnten in der fatalen Logik der EU-Fiskalregeln eine neue Runde an Sparpaketen auslösen. Diese in Österreich zu verhindern und für die neuen Regierungen in Griechenland und möglicherweise in Spanien eine Option jenseits der gescheiterten EU-Politik zu schaffen, stünde am Beginn eines grundlegenden wirtschaftspolitischen Kurswechsels. Seine Prioritäten müssen in der Verringerung der Massenarbeitslosigkeit und der Ungleichheit in der Verteilung des Wohlstandes liegen.

Gegen Jahresende 2014 wurde eine neue Runde der Revision der Konjunkturprognosen nach unten eingeläutet. Das WIFO erwartet für die österreichische Wirtschaft 20151 nur noch ein Wachstum von real 0,5 Prozent. Die Konjunktur leidet in ganz Europa unter den Sparbemühungen der öffentlichen Hand und dem anhaltend labilen Finanzsystem, was sich in schwacher Konsum- und Investitionsnachfrage äußert. Sie droht in eine gefährliche Deflationsspirale zu rutschen. 
Kurzfristig stützen der niedrige Erdölpreis, der schwache Euro und die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland die Konjunktur.

Doch das reicht nicht. Unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen ist ein nachhaltiger Aufschwung nicht denkbar,und die Arbeitslosigkeit steigt weiter.


Konjunkturverschärfende Fiskalregeln der EU

Die schwächeren Wachstumsaussichten drohen sich sogar selbst zu erfüllen, weil unter den geltenden Budgetregeln der EU die Wirtschaftspolitik systematisch zum falschen Handeln gedrängt wird: Sinkt das Wirtschaftswachstum, so führt die von der Europäischen Kommission gewählte Rechenmethode statistisch
zu einem Absinken des Potenzialwachstums, also des „normalen“ Wirtschaftswachstums. Auf dieser Basis wird dasselbe Budgetdefizit zu einem größeren Teil als strukturell und nicht konjunkturabhängig eingestuft.

Dies gerät in Konflikt mit der Selbstverpflichtung der Mitgliedsländer, das strukturelle Budgetdefizit rasch auf höchstens 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu reduzieren. Dieses Problem hat mittlerweile auch die Europäische Kommission erkannt. Diese Woche wurde eine leichte Flexibilisierung der Fiskalregeln
angekündigt: Mitgliedsländer mit schlechter Konjunktur müssen zwar weiter sparen, allerdings nicht mehr so rasch.

Am grundlegenden Problem prozyklischer Budgetvorgaben ändert sich allerdings nichts: Die Revision des Wirtschaftswachstums löst früher oder später neue Sparpakete aus. Werden dabei die Staatsausgaben gesenkt oder Massensteuern erhöht, so führt dies direkt zu einer Verringerung der verfügbaren Einkommen,
der Konsumnachfrage und der Produktion, also des Wirtschaftswachstums und der B
eschäftigung.
Konsolidierungsforderungen der Europäischen Kommission zurückweisen

Die EU-Budgetregeln wirken prozyklisch, verstärken die Wirtschafts- und Beschäftigungskrise und müssen noch weiter geändert werden. Erstens darf die österreichische Bundesregierung in den nächsten Monaten nicht den Fehler begehen, wegen der Abwärtsrevision der Prognose ein neues Sparpaket zu schnüren.

Dies würde die Konjunktur zusätzlich bremsen und zu einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit führen. Sofern die Regierung Sparpotenziale bei manchen Ausgaben ortet, dann soll sie diese selbstverständlich heben und die entstehenden Einsparungen zu Mehrausgaben in anderen Bereichen – vor allem dem dringenden Ausbau von Kindergärten, Schulen, Integration und Pflegeleistungen – nutzen. Der Forderung einer weiteren Verringerung des Budgetdefizits darf aber aus beschäftigungspolitischen Gründen nicht nachgekommen werden.
Mögliche Sanktionen würden erst Ende 2016 drohen und bestünden ohnehin nur in der Hinterlegung eines verzinsten „Sparbuchs“ in Brüssel.

Zweitens soll Österreich endlich eine Kehrtwende in seiner Position im Rat der FinanzministerInnen vollziehen: Die Regierung unterstützt bislang alle harten Sparauflagen für Länder mit zu hohem Budgetdefizit und Massenarbeitslosigkeit.
Die im Jänner 2015 seitens der Kommission angekündigte vorsichtige Neuinterpretation der Fiskalregeln hat neue Spielräume geschaffen, diese müssen jetzt konsequent weiterentwickelt werden. Nun gilt es besonders jenen Ländern beizustehen, denen wegen der schlechteren Wirtschaftslage verschärfter Spardruck der Kommission droht. 
Das gilt unmittelbar für Frankreich und Italien, wo die Arbeitslosigkeit auch unter Jugendlichen Rekordniveaus erreicht hat.

Von besonderer Bedeutung ist aber die Positionierung Österreichs, wenn Griechenland und vielleicht demnächst auch Spanien auf Basis eines klaren WählerInnenauftrages dem oktroyierten Austeritätskurs entgegentreten. Diese Position ist inhaltlich völlig gerechtfertigt. Selbst der Internationale Währungsfonds hat
jüngst das Scheitern der Austeritätspolitik4 festgestellt: Sie hat zu massiven Einschnitten im Sozialwesen, einem drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit und enormer Zunahme der Ungleichheit geführt, ohne die Staatsschulden zu senken – im Gegenteil, diese sind weiter gestiegen. 
Die österreichische Regierung muss ihrer europäischen und sozialen Verantwortung gerecht werden und dazu beitragen, beide Länder in der Währungsunion zu halten und gleichzeitig die sozial und wirtschaftlich schädlichen Kürzungen zu beenden.

Der liberale belgische Ökonom Paul De Grauwe hat dem notwendigen Politikwechsel einen Namen gegeben: „Strukturreformen beenden, öffentliche Investitionen starten.“ Aufgabe der europäischen Budgetpolitik muss es angesichts der gegenwärtigen Konjunktur- und Arbeitsmarktsituation sein, die effektive Nachfrage zu stärken. Darauf hat auch das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in seiner jüngsten Lagebeurteilung nachdrücklich hingewiesen. Diesem Anspruch wird auch die von der Kommission angekündigte
flexiblere Handhabung der Fiskalregeln bei Weitem nicht gerecht.


Sparpolitik beenden, Arbeitslosigkeit senken
Markus Marterbauer / Arbeit&Wirtschaft


Markus Marterbauer 
(* 26. Februar 1965 in Uppsala, Schweden) ist ein österreichischer Nationalökonom. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Universitätsassistent am Institut für Volkswirtschaftstheorie und -politik der Wirtschaftsuniversität Wien wechselte Marterbauer auf den Posten eines Konjunkturreferenten im Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), Wien. Im Jahr 2000 absolvierte er einen Forschungsaufenthalt am Economics Department der York University in Toronto/Kanada. Seit 2011 ist er als Nachfolger von Günther Chaloupek Abteilungsleiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Arbeiterkammer Wien. Marterbauers zahlreiche Publikationen befassen sich vorrangig mit der Budgetentwicklung und Fiskalpolitik Österreichs, mit Fragen der Einkommenspolitik und Umverteilung, mit makroökonomischen Fragen und sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik.

Marterbauer ist Mitglied des Staatsschuldenausschusses, Experte im Budgetausschuss des österreichischen Nationalrates und Mitglied im Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen. Seit Juli 2013 leitet er als Vorsitzender den Arbeitskreis Dr. Benedikt Kautsky.

Größere Publikationen
Zahlen bitte!: Die Kosten der Krise tragen wir alle Wien 2011, Deuticke
Wem gehört der Wohlstand?: Perspektiven für eine neue österreichische Wirtschaftspolitik Wien 2007, Paul Zsolnay Verlag
Budgetpolitik im "Modell Schweden". Der schwedische Konsolidierungserfolg und die Handlungsalternativen für Österreich von Markus Marterbauer (1989)

Quelle: Wikipedia


1 Kommentar:

  1. Siehe auch:

    Zahlen bitte! Die Kosten der Krise tragen wir alle
    http://bilgungwissen.blogspot.com/2012/03/zahlen-bitte-die-kosten-der-krise.html?showComment=1431087923736

    AntwortenLöschen