Montag, 30. März 2015

YANIS VAROUFAKIS - #6 - Die Erkenntnis von Keynes

Braucht es eine Austro-Syriza?

... interessant und nicht bloß eine Leseempfehlung, das ist eine Leseverpflichtung!
1 - Rettet den Kapitalismus!
2 - Unberechenbar im eigenen Marxismus
3 - Marx’ bemerkenswerte Analyse
4 - Die Freiheit der Neoliberalen
5 - Warum ein unorthodoxer Marxist?
6 - Die Erkenntnis von Keynes
7 - Die Lektion von Margaret Thatcher
8 - Was sollten MarxistInnen tun?
9 - Bündnisse mit dem Teufel
10 - Der pragmatische Marxist


Schützt das System vor sich selbst !

 
Die Erkenntnis von Keynes
John Maynard Keynes stand der Linken feindlich gegenüber. Er liebte das Klassensystem, das ihn hervorgebracht hatte, wollte persönlich nichts mit dem Plebs zu tun haben und arbeitete hart und geschickt, um Ideen zu finden, mit denen der Kapitalismus trotz seiner Anfälligkeit für womöglich tödliche Starrkrampfanfälle überleben könnte. Als aufgeschlossener, freigeistiger, bürgerlicher Liberaler hatte Keynes die seltene Gabe, nicht vor Herausforderungen an seine eigenen Vorannahmen zurückzuschrecken.

Mitten in der Grossen Depression nach 1929 brach er aus der Tradition aus, in der er aufgewachsen war. Er bemerkte, dass die Beschäftigung weiter sank, je tiefer die Löhne fielen, und die Investitionen nicht einmal nach einer langen Phase von Nullzinsen anwuchsen, und er war bereit, die Lehrbücher wegzuwerfen und das Funktionieren des Kapitalismus neu zu überdenken.
Doch warum übernahm Keynes nicht die Position von Marx, der doch als Erster Krisen als Bestandteil der kapitalistischen Dynamik erklärt hatte? Nun, weil die Grosse Depression nicht einem üblichen Abschwung entsprach, den Marx so glänzend erklärt hatte.

Im ersten Band des «Kapitals» erzählt Marx die Geschichte der wiederkehrenden Rezessionen, die wegen des Doppelcharakters der Arbeit entstehen und Wachstum ermöglichen, das wiederum mit dem nächsten Abschwung einhergeht, der wieder die Erholung ermöglicht und so weiter.
Doch die Grosse Depression hatte nichts Wiederkehrendes an sich. Der Einbruch der dreissiger Jahre war genau dies: ein Einbruch, der wie ein statisches Gleichgewicht funktionierte – ein ökonomischer Zustand, der sich ewig fortzusetzen schien, wobei die vorausgesagte Erholung sich hartnäckig weigerte, jenseits des Horizonts zu erscheinen, selbst nachdem sich die Profitrate als Folge der kollabierten Löhne und Zinsen erholt hatte.
Keynes «entdeckte» zwei Dingen über den Kapitalismus:
 - dass er erstens ein grundsätzlich unbestimmtes System war mit dem, was heutige ÖkonomInnen als unendliche Zahl von verschiedenen Gleichgewichten bezeichnen würden, von denen einige mit ständiger Massenarbeitslosigkeit einhergingen;
 - und dass der Kapitalismus zweitens in jedem Augenblick in eines dieser schrecklichen Gleichgewichte fallen konnte, unvorhersehbar, ohne Sinn und Verstand, bloss weil ein beträchtlicher Teil von KapitalistInnen fürchtete, dass er das täte.
Einfacher gesagt:
 - Wir wissen nicht, wann eine Rezession kommt und wie sie durch Marktkräfte überwunden werden kann.
 - Wir wissen nicht, wie sich der Kapitalismus morgen verhält, selbst wenn er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt stark und unbezwingbar präsentiert.

Es ist möglich, dass er einfach auf die Schnauze fällt und nicht mehr aufsteht. Keynes’ Idee von den «animal spirits», den irrationalen Elementen im Wirtschaftsprozess, war eine zutiefst radikale Idee, die die radikale Unbestimmtheit in der DNA des Kapitalismus erfasste.

Diese Idee hatte Marx zuerst eingeführt – mit seiner Analyse des Doppelcharakters der Arbeit –, sie dann aber während der Arbeit am «Kapital» aufgegeben, um seine Theorie in Form von mathematisch nicht widerlegbaren Beweisen zu präsentieren.
Von allen Passagen in Keynes’ «Allgemeiner Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes» von 1936 ist es die Idee der selbstzerstörerischen Willkürlichkeit des Kapitalismus, die wir wiederaufgreifen und mit der wir den Marxismus erneut radikalisieren müssen.

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