Donnerstag, 26. März 2015

YANIS VAROUFAKIS - #1 Rettet den Kapitalismus!

Braucht es eine Austro-Syriza?
... interessant und nicht bloß eine Leseempfehlung, das ist eine Leseverpflichtung!

  1 - Rettet den Kapitalismus!
  2 - Unberechenbar im eigenen Marxismus
  3 - Marx’ bemerkenswerte Analyse 
  4 - Die Freiheit der Neoliberalen
  5 - Warum ein unorthodoxer Marxist?
  6 - Die Erkenntnis von Keynes
  7 - Die Lektion von Margaret Thatcher
  8 - Was sollten MarxistInnen tun?
  9 - Bündnisse mit dem Teufel 
10 - Der pragmatische Marxist


Schützt das System vor sich selbst !


Rettet den Kapitalismus!

Der heutige griechische Finanzminister erklärt, warum man zunächst das System vor sich selber schützen muss. Bekenntnisse eines unorthodoxen Marxisten inmitten einer abstossenden europäischen Krise.
Im Jahr 2008 erlebte der Kapitalismus einen globalen Starrkrampfanfall. Dieser löste eine Kettenreaktion aus, die Europa in eine Abwärtsspirale stiess. Diese andauernde Krise bedroht aber nicht nur Arbeiterinnen, Beraubte, Banker, spezielle Gruppen, soziale Klassen oder sogar Nationen. Nein, Europas aktuelle Lage stellt eine Bedrohung für die ganze Zivilisation dar.
Meines Erachtens erleben wir gegenwärtig nicht einfach eine weitere zyklische Krise, die überwunden sein wird, sobald die Profitrate nach den unvermeidlichen Lohnsenkungen wieder steigt. Deshalb stellt sich für uns Radikale folgende Fragen:
 - Sollen wir diesen generellen Niedergang des europäischen Kapitalismus als Chance begreifen, ihn durch ein besseres System zu ersetzen?
 - Oder müssen wir so beunruhigt sein, dass wir eine Kampagne zur Stabilisierung des europäischen Kapitalismus starten sollten?
Für mich ist die Antwort klar.
Die Krise in Europa wird wohl kaum eine bessere Alternative zum Kapitalismus hervorbringen, sondern viel eher gefährliche rückwärtsgewandte Kräfte entfesseln, die ein Blutbad verursachen und gleichzeitig jede Hoffnung auf Fortschritt auf Generationen hinaus vernichten könnten.
Für diese Ansicht bin ich von gutmeinenden Radikalen beschuldigt worden, ich sei defätistisch und wolle ein sozioökonomisches System in Europa retten, das sich nicht rechtfertigen lässt. Diese Kritik, das gestehe ich offen, schmerzt. Und sie schmerzt, weil sie nicht nur einen kleinen Kern Wahrheit enthält.
Ich teile die Ansicht, dass die heutige EU grundsätzlich ein undemokratisches Kartell ist, das die Völker Europas auf einen Weg der Menschenfeindlichkeit, der Konflikte und einer andauernden Rezession geführt hat.
Ich akzeptiere auch die Kritik, dass ich Politik auf der Grundlage einer Einschätzung betrieben habe, wonach die Linke grundsätzlich besiegt worden sei und es vorläufig auch bleibe. Ich gestehe, ich würde lieber ein radikaleres Programm vertreten, das im Kern darin bestünde, den europäischen Kapitalismus durch ein anderes, vernünftigeres System zu ersetzen.
Doch an dieser Stelle möchte ich meine Sicht auf einen krisengeschüttelten, zutiefst unvernünftigen und abstossenden europäischen Kapitalismus darlegen, dessen Zusammenbruch, trotz all seiner Fehler, unter allen Umständen vermieden werden sollte.
Dieses Bekenntnis soll dazu dienen, Radikale von einem widersprüchlichen Auftrag zu überzeugen: den freien Fall des europäischen Kapitalismus zu stoppen, eben gerade damit wir Zeit bekommen, um eine Alternative zu formulieren.
Als ich 1987 meine Dissertation begann, wählte ich bewusst ein hochmathematisches Thema, für das das Denken von Karl Marx unerheblich war.
Als ich später eine akademische Karriere als Lehrbeauftragter in herkömmlichen wirtschaftswissenschaftlichen Instituten verschiedener Universitäten einschlug, bestand das implizite Einverständnis zwischen mir und meinen Jobgebern darin, dass ich jene Art Wirtschaftswissenschaft lehren würde, in der Marx nicht vorkam. In den späten achtziger Jahren wurde ich beispielsweise von der Universität Sydney angestellt, um einen linken Kandidaten zu verhindern (was ich damals allerdings nicht wusste).
Nachdem ich im Jahr 2000 nach Griechenland zurückgekehrt war, verbündete ich mich mit dem damaligen Pasok-Aussenminister Giorgios Papandreou, da ich hoffte, verhindern zu helfen, dass die wiedererstarkte Rechte an die Macht zurückkehrte, die in Griechenland sowohl innen- wie aussenpolitisch eine fremdenfeindliche Politik durchsetzen wollte.
Wie jedermann weiss, scheiterte Papandreous Partei nicht nur dabei, die Xenophobie zu stoppen. Sie führte auch eine strikte neoliberale Politik durch, die die sogenannten Bail-outs in der Eurozone einläutete, was, unbeabsichtigt, dazu führte, dass Nazis auf die Strassen von Athen zurückkehrten.

Zwar trat ich Anfang 2006 als Papandreous Berater zurück und wurde zu einem der heftigsten Gegner seiner Politik, mit der er die Implosion Griechenlands nach 2009 noch verschlimmerte. Dennoch haben meine öffentlichen Interventionen in die Debatten um Griechenland und Europa, etwa der «Modest Proposal for Resolving the Eurozone Crisis» 1, den ich mittrug, keinerlei marxistischen Anstrich.


1 Von Yanis Varoufakis, Stuart Holland und James K. Galbraith im Herbst 2013 vorgelegt. In der neusten Version einsehbar auf der Website
 
www.yanisvaroufakis.eu(link is external).
Der Text wird Ende Februar auf Deutsch im Verlag Antje Kunstmann unter dem Titel «Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise» veröffentlicht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen